Pretotyping: Erst Kunden gewinnen, dann Produkt entwickeln [Anleitung] 

Pretotyping: Erst Kunden gewinnen, dann Produkt entwickeln [Anleitung] 

Viele Unternehmen testen heute erstmal an einer Minimalversion ihres Produkts oder Services (MVP), ob sie damit am Markt Erfolg haben könnten. Das macht Sinn, wenn man bedenkt, dass neun von zehn Innovationen zum Scheitern verurteilt sind. 

Doch selbst die Investition in einen MVP ist riskant. Denn auch hier gehen Unternehmen erstmal in Vorleistung und stecken Entwicklungszeit und Budget in eine Idee, bevor sie testen, ob tatsächlich jemand Geld für ihre Lösung ausgeben würde. Ein Risiko, das man vermeiden kann. 

Wie, fragen Sie sich? Es gibt eine Methode, mit der Unternehmen schon Kunden gewinnen, noch bevor sie Zeit und Geld in einen MVP investieren mussten. Das Konzept, das ich Ihnen heute vorstellen möchte, heißt Pretotyping.

Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Pretotyping

Pretotyping Schritt 1: Definieren Sie Ihr Angebot.

Selbst der beste Vertrieb hilft nichts, wenn Sie Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung nicht klar positioniert haben. Fragen Sie sich also zuallererst:

  • Was ist das Problem, welches unser Produkt lösen kann?
  • Welche Menschen haben dieses Problem?
  • Ist das Problem, das wir lösen, groß genug, dass es Menschen nachts wach hält?

Nehmen Sie sich genügend Zeit für diesen ersten Schritt und seien Sie gnadenlos ehrlich bei den Antworten. Löst Ihr Angebot kein wirklich dringendes Problem für Ihre Kunden, wird es ziemlich wahrscheinlich scheitern. 

Pretotyping Schritt 2: Erstellen Sie eine Landing Page.

Ihr Produkt gibt es zwar noch gar nicht. Das macht aber nichts. Denn Sie wissen genau, welches Problem Sie damit lösen können und wer die Menschen sind, die dieses Problem haben. Fassen Sie diese Erkenntnisse nun in Worte und erstellen Sie eine Landing Page für Ihr künftiges Angebot. 

Diese Elemente braucht Ihre Landing Page:

  • Titel: Im Titel soll auf einen Blick klar werden, wer Sie sind und was Sie tun.
  • Header: Im Kopfbereich der Landing Page beschreiben Sie in 3 Zeilen: Was ist das Problem? Wie lösen Sie es? Wie sieht der Erfolg für Ihre Kunden aus? Dazu stellen Sie ein Header-Bild, das einen glücklichen Kunden zeigt. Machen Sie sich also Gedanken, wie Ihr typischer Kunde aussehen könnte.
  • Call to Action: Formulieren Sie ganz konkret, was Ihre Nutzer tun sollen auf Ihrer Landing Page. Diesen Call to Action platzieren Sie gut sichtbar an mehreren Stellen auf Ihrer Landing Page.
  • Problem erklären: Beschreiben Sie im nächsten Abschnitt genau, welche Probleme Ihre Kunden haben. Wie beeinträchtigt sie das Problem in ihrer täglichen Arbeit? Was macht es persönlich mit Ihren Kunden? (Frust, Ärger, Resignation etc.)
  • Vorteile darstellen: Was haben Ihre Kunden davon, wenn sie Ihr Angebot nutzen? Beschreiben Sie konkret die Vorteile, die Ihre Kunden mit Ihrer Lösung genießen werden. Achtung: Es geht nicht darum, Features und Leistungen zu beschreiben, sondern, wie Ihre Lösung das Leben Ihrer Kunden erleichtert.  
  • Empathie zeigen: Warum möchten Sie Ihren Kunden eigentlich helfen? Geben Sie Ihren Kunden das Gefühl, dass Sie ihre Probleme verstehen und sie ernst nehmen. Das schafft Vertrauen – eine wichtige Voraussetzung für die spätere Kaufentscheidung. 
  • Kompetenz belegen: Beweisen Sie mit Testimonials, Kundenlogos, Kennzahlen oder Zertifikaten, dass Sie wirklich halten können, was Sie versprechen.
  • Plan: Beschreiben Sie in drei Schritten (nicht mehr!), wie Kunden Ihr Produkt bestellen können. Bei Dienstleistung beschreiben Sie in drei Schritten, wie Ihre Kunden mit Ihnen zusammenarbeiten können.
  • Preis- und Produktmodelle: Überlassen Sie Ihren Kunden die Wahl. Zeigen Sie unterschiedliche Produkt- und Preisoptionen. Bewährt haben sich drei Abstufungen – Basic, Standard, Premium. 

Möchten Sie mehr über die Elemente einer guten Website erfahren, empfehle ich Ihnen meinen Storytelling-Artikel.

Pretotyping Schritt 3: Schenken Sie Ihren Besuchern etwas von Wert.

Kostenlose Zusatzangebote, die deutlichen Mehrwert für Ihre Nutzer liefern, nennt man Lead Magnet. Sie schenken Ihren Nutzern etwas Wertvolles, die zwar Interesse an Ihrem Angebot haben, aber noch nicht bereit sind, direkt auf Ihren Call to Action zu antworten. 

Im Gegenzug dafür geben Ihnen diese Nutzer ihre E-Mail-Adressen. Diese nutzen Sie im späteren Nurturing (Schritt 7), um sie weiter zu pflegen und mit hilfreichen Informationen zu versorgen, bis sie kaufbereit sind. Als solche Lead Magneten eignen sich Case Studies, Whitepaper, Checklisten, Vorlagen, Rechner, Webinare, Videos u.v.m.

Pretotyping Schritt 4: Finden Sie potenzielle Leads.

In Schritt 1 haben Sie Ihre Zielgruppe klar definiert. Nun suchen Sie nach realen Personen, die in diese Zielgruppe fallen. Dazu eignen sich Social-Media-Plattformen wie LinkedIn und Xing, auf denen Sie z.B. kostenlos nach Branche, Position und Titel Ihrer Zielgruppe suchen können. 

Eine noch effektivere Möglichkeit, Leads zu identifizieren, bietet das LinkedIn-Tool Sales Navigator (kostenpflichtig). Damit können Sie Ihre Suche genau definieren, z.B. nach Branche, Postleitzahl, Mitarbeiterzahl oder Seniorität. Starten Sie breit und werden Sie in Ihrer Suche immer spitzer, bis Sie am Ende eine Liste mit 3.000 bis 4.000 Leads haben. 

Pretotyping Schritt 5: Schreiben Sie Ihre Leads an.

Nun nehmen Sie Kontakt auf mit Ihrer Zielgruppe. Verschicken Sie Kontaktanfragen an Ihre Leads und schreiben Sie kurze, freundliche Direktnachrichten dazu, in denen Sie Ihren kostenlosen Lead Magnet pitchen. 

Gehen Sie zuerst die Leads an, mit denen Sie die meisten gemeinsamen Kontakte haben. Heben Sie sich die Leads ohne gemeinsame Kontakte bis zum Schluss auf. Je mehr Menschen Ihre Anfrage annehmen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich neue gemeinsame Kontakte ergeben zu jenen Leads, zu denen Sie anfangs keine Verbindung hatten. Ein cleveres Schneeball-Modell.

Auch hilfreich: Bitten Sie gute Kontakte um eine Intro zu einem potenziellen Kunden.

Und: Fassen Sie nach sieben Tagen nochmal freundlich nach, wenn Leads nicht auf Ihre Anfrage reagiert haben. Oft gehen solche Direktnachrichten einfach unter im Posteingang. 

Pretotyping Schritt 6: Verschicken Sie Ihren Lead Magnet.

Aus eigenen Kampagnen weiß ich, dass etwa 30% bis 50% der angeschriebenen Menschen Ihre Kontaktanfrage annehmen werden. Wiederum die Hälfte davon wird Interesse an Ihrem Lead Magnet zeigen. Schicken Sie Ihren Lead Magnet nun per E-Mail an diese Leads. Das können Sie manuell tun oder automatisiert, zum Beispiel mit dem Versandtool Sendinblue.

Pretotyping Schritt 7: Pflegen Sie Ihre Leads in einer Nurturing-Kampagne.

Über die nächsten Wochen pflegen Sie Ihre Leads nun mit einer Nurturing-Kampagne. Schicken Sie ihnen dazu jede Woche einen kurzen, wertvollen Tipp, der ihnen bei der Lösung ihres Problems hilft. So etablieren Sie sich als Experte auf Ihrem Gebiet und bleiben nicht nur in der Inbox, sondern vor allem in den Köpfen Ihrer Leads präsent.  

Pretotyping Schritt 8: Ermitteln Sie die Kaufbereitschaft per Lead Scoring.

Wann können Sie Ihren Leads nun endlich Ihr Angebot machen? Woher wissen Sie, wann ein Lead bereit ist zu kaufen? Die Kaufbereitschaft Ihrer Leads ermitteln Sie im sogenannten Lead Scoring. In einem Punktesystem legen Sie fest, welche Interaktionen Ihrer Leads mit Ihnen und Ihren Inhalten wie viele Punkte “wert” sind. Ich selbst arbeite nach folgendem Punktesystem:

  • 10 Punkte für jede geöffnete E-Mail, jede Page Impression und jeden Like 
  • 30 Punkte für eine Newsletter-Anmeldung oder den Download des Lead Magneten
  • 50 Punkte, wenn jemand Inhalte teilt oder sich das Pricing anschaut
  • 100 Punkte extra für alle Leads, die Entscheider in einem Unternehmen sind
  • 300 Punkte für Leads, die das Kontaktformular ausgefüllt und abgebrochen haben

Anhand dieser Punkte-Methodik stufen Sie die Kaufbereitschaft Ihrer Leads ein. Hat ein Lead 1.000 Punkte erreicht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er genügend Interesse an Ihrem Angebot zeigt, dass Sie ihm nun ein konkretes Angebot machen können. Die Punktevergabe automatisieren Sie am besten in Ihrem CRM-System, damit Sie nicht manuell nach jedem Kontakt nachrechnen müssen. 

Pretotyping Schritt 9: Machen Sie Ihr Angebot.

Wie Sie Ihr Angebot machen möchten, ist Geschmacksache. Manche greifen gern zum Telefon und rufen Ihre Leads einfach an. Ist Ihnen das zu direkt, schauen Sie sich in Ihrem CRM-System genau an, welche Interaktionen Ihr Lead mit Ihren Inhalten hatte, welche Inhalte er besonders lange angeschaut und auf welche Links er angeklickt hat. Dann formulieren Sie eine persönliche E-Mail, die genau auf diese Interessen und Interaktionen zugeschnitten ist und machen Ihr Angebot. Das Angebot ist der Call to Action Ihrer E-Mail. 

Eine weitere Möglichkeit, Ihren Leads ein Angebot zu unterbreiten, ist eine Sales-Kampagne. Dazu verfassen Sie fünf Sales-E-Mails, in denen Sie Ihr Angebot als Geschichte in fünf Akten erzählen – jede einzelne mit einem klaren Fokus: 

Sales-E-Mail 1: Was ist das Problem und wie lösen Sie es für Ihre Kunden?

Sales-E-Mail 2: Lassen Sie ein Testimonial erzählen, wie Sie sein Problem gelöst haben.

Sales-E-Mail 3: Nehmen Sie den größten Einwand vorweg, der Ihre Leads von einem Kauf abhalten könnte und entkräften Sie ihn.

Sales-E-Mail 4: Überraschen Sie Ihre Leads mit einem Paradigmenwechsel. Beschreiben Sie ein häufiges Vorurteil zu Ihrem Angebot und entkräften Sie dieses. Ein Beispiel: “Ein Personal Trainer ist ein Luxus, den sich nur reiche Menschen leisten können.” Ein Paradigmenwechsel könnte lauten: “Es ist kein Luxus, in die eigene Gesundheit zu investieren. Schaffen Sie es nicht alleine, Ihr Bewegungsverhalten zu verändern, holen Sie sich doch Unterstützung von einem Experten.”

Sales-E-Mail 5: Fassen Sie die Kernaussagen der vorigen E-Mails nochmal kurz zusammen und enden Sie mit einem konkreten Call to Action, z.B. unverbindliches Beratungsgespräch vereinbaren, 1 Monat kostenlos testen, etc. 

Fazit

Pretotyping ist ein sicherer Weg, mit dem Sie neue Kunden gewinnen können, noch bevor Sie Zeit und Geld in die Entwicklung eines MVP investiert haben. Die neun Schritte nochmal zusammengefasst:

  1. Definieren Sie Ihr Angebot.
  2. Entwickeln Sie eine Landing Page dafür.
  3. Schenken Sie Ihren Besuchern etwas von Wert.
  4. Suchen Sie nach potenziellen Leads.
  5. Schreiben Sie Ihre Leads an.
  6. Verschicken Sie Ihren Lead Magnet per E-Mail.
  7. Pflegen Sie Ihre Leads in einer Nurturing-Kampagne.
  8. Ermitteln Sie die Kaufbereitschaft per Lead Scoring.
  9. Machen Sie Ihr Angebot.

Die drängende Frage ist: Lohnt sich der Aufwand am Ende für Sie? Die Antwort darauf ist ein klares: Ja. Investieren Sie eine Stunde am Tag in Pretotyping, werden Sie nach sechs Monaten Ihre ersten zahlenden Kunden und eine vierstellige E-Mail-Liste an qualifizierten Leads gewonnen haben. 

Diese Lead-Liste ist Ihr wertvollstes Asset. Denn Sie können diese Liste skalieren und daraus neue Leads identifizieren. Zum Beispiel mit Lookalike-Audiences. Ab einer Größe von 1.000 Personen können Sie aus Ihrer Lead-Liste sogenannte Lookalike-Audiences bei Facebook und LinkedIn erstellen. Damit identifizieren Sie neue Zielgruppen, die ähnliche Merkmale wie Ihre Lead-Liste aufweisen und die bis zu 15 Mal größer sein können als Ihre ursprüngliche Liste. Diese Zielgruppe können Sie nun erneut ansprechen und so Ihre E-Mail-Liste verzehnfachen. 

 

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